Beispiele
Sei es beim Bau von Infrastruktur-Projekten, beim Artenschutz oder bei der Zulassung von Pestiziden: Das Verbandsbeschwerderecht trägt dazu bei, bei erheblichen Eingriffen in Natur und Umwelt rechtskonforme Lösungen zu finden. Indem die Natur eine Stimme erhält.




Drei Ikonen
Aletschgebiet (VS)
Das Aletschgebiet wurde 2001 als UNESCO-Weltnaturerbe anerkannt - auch dank des Verbandsbeschwerderechts. Das Siedlungsgebiet auf der Südseite des Aletschgebiets litt traditionell unter Wasserknappheit. Um die Wasserversorgung zu verbessern, plante man in den Siebzigerjahren eine Wasserleitung aus dem Märjelental. Die ursprüngliche Nordvariante hätte den Aletschwald mit seinen Arven und Lärchen gefährdet. Dadurch wäre das geltende Recht, welches das einmalige Aletschgebiet sichert, massiv verletzt worden. Denn der Bau der Wasserleitung hätte den Bau einer Strasse erforderlich gemacht, die das sensible Ökosystem zerstört hätte. Die geplante Strasse hätte das Landschaftsbild langfristig beeinträchtigt und Lebensräume zerstört. Naturschutzorganisationen wie der Schweizerische Bund für Naturschutz (heute Pro Natura) gaben den Anstoss, dass die Rechtmässigkeit des Bauvorhabens im Schutzgebiete überprüft werden konnte. Dank dieser Beschwerde wurden bessere Varianten für die Wasserleitung erarbeitet, und schliesslich wurde die Südvariante realisiert, die ökologisch weniger problematisch war. So konnte der Aletschwald gesichert werden, wie es das bestehende Gesetz verlangte. Die Aufnahme des Aletschgebietes in das UNESCO-Weltnaturerbe im Jahre 2001 wäre bei einer Strassenführung entlang des Nordhanges, direkt über dem Gletscher nicht zustande gekommen. Heute sind alle, die Wirtschaft, der Tourismus und die Behörden froh, dass dank des Verbandsbeschwerderechts das Aletschgebiet UNESCO-Weltnaturerbe ist.
Lavaux (VD)
Das Lavaux-Gebiet über dem Genfersee umfasst 14 Gemeinden auf 898 Hektaren, davon sind 574 Hektaren mit Reben bepflanzt. Seit dem 12. Jahrhundert wird dort Wein angebaut, wodurch eine einzigartige Kultur-Naturlandschaft mit Natursteinterrassen, Pfaden und Reben entstand. Das Gebiet ist seit 1977 im BLN-Inventar und seit 2007 UNESCO-Weltkulturerbe, nachdem es durch die Initiative von Franz Weber geschützt wurde. Aufgrund geologischer Instabilität waren Felssicherungsarbeiten notwendig, doch das ausgearbeitete Projekt hätte die heimische Flora und Fauna beeinträchtigt und damit die bestehenden Gesetzgebung verletzt. Umweltorganisationen wie Pro Natura konnten dank des Verbandsbeschwerdechts prüfen lassen, ob der Artikel 18 des Natur- und Heimatschutzgesetzes (NHG) eingehalten wurde. Dabei zeigte sich, dass die Behörden keine ausreichenden Massnahmen zum Erhalt oder zur Wiederherstellung der Biotope vorgesehen hatten. Dank der Beschwerden wurden die Sicherungsarbeiten neu geplant und naturverträglicher sowie gesetzeskonform gestaltet. Dies sichert den langfristigen Erhalt der Landschaft und schützt ihre ökologische Vielfalt.
Bolle di Magadino (TI)
Mitten im national und international geschützten Feuchtgebiet der Bolle di Magadino gab es bis 2005 ein Kies- und Betonwerk an der Mündung des Ticino in den Lago Maggiore. Das international bedeutende Schutzgebiet umfasst Moorbiotope, Auenwälder und dient 250 Vogelarten als Brut- und Rastplatz. Naturschutzorganisationen engagieren sich seit rund einem Jahrhundert für den Erhalt dieser wertvollen Naturgebiete, Seit 1963 ist das Gebiet im schweizerischen Inventar schützenswerter Landschaften aufgeführt, seit 1982 ist es durch die Ramsar-Konvention international geschützt. Trotz des Schutzes tolerierte die kantonale Verwaltung über dreissig Jahre das Kieswerks, obwohl dieses das geltende Recht verletzte. Im November 2003 genehmigte der Regierungsrat erstmals mit einer anfechtbaren Verfügung die Ausbaggerung des Flusses für den Zugang zum Kieswerk inmitten des Schutzgebietes. Das Verbandsbeschwerderecht ermöglichte die Prüfung dieses Entscheids auf seine Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen. Das zuständige Tessiner Gericht hob die Baggerbewilligung auf. Erst jetzt ordnete der Regierungsrat die Schliessung des rechtswidrigen Kieswerks an. Die Firma übersiedelte nach Cadenazzo, was nach eigener Darstellung in der Firmengeschichte einen weiteren Qualitätssprung bedeutete und die Entwicklung zu einem der wichtigsten Unternehmen im Bausektor der Region ermöglichte. Und in den Bolle di Magadino gibt es seither keine industrielle Einrichtung mehr, und das Delta des Tessinflusses kann sich natürlich entwickeln.
Erneuerbare Energie
Ausbau Pumpspeicherwerk Linth-Limmern
Mit dem Projekt Linthal 2015 wurde das bestehende Werk aus den 1960er-Jahren mit einem Pumpspeicherkraftwerk ergänzt. Damit hat sich die Leistung der Kraftwerke Linth-Limmern von zuvor rund 520 Megawatt auf 1520 Megawatt erhöht. Die Naturschutzorganisationen waren bereits früh involviert, um Fachfragen im Bereich Naturschutz zu klären. Für die Eingriffe in die Natur beim Kraftwerksbau wurden diverse Ersatzmassnahmen umgesetzt: Renaturierung eines Abschnitts der Linth und Aufgabe einer Wasserfassung in der Linthschlucht, Begrünung von früheren Schäden an Lebensräumen, Bau von Fischaufstiegshilfen, Schutzzonen am Muttsee, Rückbau von Übertragungsmasten. Der gute Dialog wird bis heute weitergeführt.
Pumpspeicherkraftwerk Nant de Drance
Das Pumpspeicherkraftwerk Nant de Drance leistet einen wichtigen Beitrag zur Stromversorgung im Winter und gehört zu den eindrücklichsten Pumpspeicherwerken der Schweiz. Seit Projektbeginn arbeiten Naturschutzorganisationen konstruktiv mit den Projektträgern zusammen, um Feuchtbiotope zu renaturieren und Wildtierkorridore zu schaffen. Nant de Drance zeigt, dass umweltverträgliche grosse Wasserkraftwerke umsetzbar sind. Die Gesetze wurden eingehalten, eine Beschwerde war nicht nötig.
Kraftwerk Erstfeldertal
Die Ersatzmassnahmen des geplanten Kraftwerks Erstfeldertal waren ungenügend, zu diesem Schluss kamen Umweltorganisationen nach sorgfältiger Prüfung. Dank einer Einsprache konnte - wie gesetzlich gefordert - eine ausreichende konkrete Ersatzmassnahme erreicht werden und wurde an der Reuss umgesetzt. Diese Renaturierung erbringt einen grossen ökologischen Nutzen und kompensiert den Schaden an der Natur, welcher durch das neue Kraftwerk entstanden ist. Der stark begradigte Fluss erhält ein Stück seines früheren Lebensraums zurück. Es profitieren die Natur und der Mensch durch ein vermindertes Hochwasserrisiko. Das Kraftwerk konnte bereits früher gebaut werden und produziert seit Mai 2022 Strom für 7'200 Haushalte.
Neu-Konzessionierung der Muota-Kraftwerke
Bei den Muota-Kraftwerken stellte sich die Frage, wie bei den Ersatzmassnahmen die bestehenden Gesetze eingehalten werden können. Die Kraftwerke setzten sich mit den Naturschutzorganisationen in Verbindung. Daraus resultierte ein gemeinsamer Antrag an die Behörden für eine echte Aufwertung dieses wertvollen Flusses. Naturwerte schützen und aufwerten sowie die Energieversorgung sichern: Das Beispiel Muota-Kraftwerke zeigt, dass sich Lösungen finden lassen.
Pestizide
Chlorothalonil
Chlorothalonil ist ein Pestizid-Wirkstoff, der als Fungizid seit den Siebzigerjahren breitflächig in der Landwirtschaft eingesetzt wurde. 2019 hat das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) entschieden, die Zulassung für das Fungizid Chlorothalonil mit sofortiger Wirkung zu entziehen. Dieser Zulassungsentzug erfolgte nach der gezielten Überprüfung des Wirkstoffes. Chlorothalonil war als wahrscheinlich krebserregend eingestuft worden. Weiter ist Chlorothalonil auch sehr giftig für Amphibien und Wasserorganismen und sollte allein aus diesem Grund aus dem Verkehr gezogen werden. Gegen diesen Widerruf haben Herstellerfirmen Beschwerde gegen das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) – die neue Zulassungsstelle des Bundes eingereicht. Diese Beschwerde ist hängig. Die Naturschutzorganisationen stehen in diesem Fall als Beschwerdegegner an der Seite des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Fakt ist: Bis heute trinken rund 1 Million Haushalte mit Chlorothalonil belastetes Trinkwasser, das nicht den gesetzlich festgelegten Grenzwerten entspricht.
S-Metolachlor
Das Herbizid S-Metolachlor wurde in den 1970er Jahren entwickelt und wird seither in hohen Mengen gegen Unkräuter, insbesondere im Maisanbau für Tierfutter, eingesetzt. Auch die Metaboliten von S-Metolachlor gelangen leicht ins Grund- und Trinkwasser. Im März 2019 führte das BLW eine Überprüfung der Pestizide mit S-Metolachlor durch. Schon damals verlangten Naturschutzorganisationen ein Verbot des Wirkstoffs auf Grund der hohen Toxizität für Vögel, Säugetiere, Wasserorganismen, Nutzinsekten und Regenwürmer. Die Zulassungsbehörde wies diese Einwendungen jedoch ab.
Unterdessen wurde festgestellt, dass S-Metolachlor möglicherweise Krebs verursachen kann, ein hohes Risiko für Säugetiere (Reproduktionstoxizität) sowie Wasserorganismen darstellt und die Metaboliten im Grund- und Trinkwasser schädlich für das Genom sind. Darauf verweigerte sie eine Neuzulassung. Mitte 2024 widerrief auch die Schweizer Zulassungsbehörde die Bewilligungen.
Azoxystrobin / Cyproconazol
Mitte 2020 wurde Beschwerde erhoben gegen die Bewilligung eines Pestizids mit den beiden Fungizid-Wirkstoffen Azoxystrobin und Cyproconazol. Azoxystrobin ist insbesondere enorm giftig für Amphibien; Cyproconazol ist stark reproduktionstoxisch für Wirbeltiere einschliesslich des Menschen. Die Zulassungsbehörde verteidigte ihren Entscheid hartnäckig. 2021 wurde Cyproconazol jedoch in der EU verboten. Darauf widerrief auch die Schweizer Zulassungsbehörde die Bewilligung für das Pestizid.
Artenschutz
Wildtierkorridor
Die Verbindungsstrasse zwischen den Gemeinden Lachen, Wangen und Tuggen im Kanton Schwyz sollte verbreitert werden. Das Strassenprojekt beinhaltete den Bau einer neuen Stützmauer, die mitten in einem Wildtierkorridor von überregionaler Bedeutung zu liegen gekommen wäre. Dies hätte zur Folge gehabt, dass die Wildtiere den Korridor kaum mehr hätten nutzen können. Das hätte dem geltenden Recht widersprochen. Eine Beschwerde führte dazu, dass das Projekt neu aufgelegt wurde, deutlich besser war und ohne die Stützmauer auskam.
Geschützte Arten
Geschützte Säugetiere und Vögel dürfen nicht gejagt werden. Sollten sie grossen Schaden verursachen, können Einzeltiere erlegt werden oder ist eine reaktive Bestandsregulierung möglich. In den Jahren 2007 bis 2014 liess der Kanton Bern Hunderte von Gänsesägern und Graureihern töten, ohne die erforderlichen Nachweise von Schäden vorzuweisen und ohne die nötige Bewilligung erteilt zu haben. Im entsprechenden Verbandsbeschwerdefall stoppte das Bundesgericht diese Praxis. Wie es dem Jagdgesetz entspricht, werden allfällige Abschüsse geschützter Arten deshalb heute vorgängig geprüft, die Bevölkerung wird informiert und bei besonders heiklen Abschüssen gibt es die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung.
Naturschutz
Moorlandschaft Wetzikon/Hinwil
Die Moore und Moorlandschaften der Schweiz sind seit 1987 verfassungsrechtlich geschützt. Der Bundesrat legt die Moorlandschaften von nationaler Bedeutung fest. Im Fall der Moorlandschaft Wetzikon/Hinwil ZH verstiess der Bundesrat gegen die erarbeiteten fachlichen Grundlagen, um den Bau einer Autobahn zu ermöglichen. Das Bundesgericht entschied nach einer Verbandsbeschwerde, dass das Vorgehen das geltende Recht verletzte. Unterdessen hat der Bundesrat die Moorlandschaft rechtskonform abgegrenzt, und der Kanton arbeitet an einer auch der Bevölkerung dienenden Tunnellösung für die Autobahn.
Das Moor von Rothenthurm
Das Moor von Rothenthurm SZ ist das wertvollste der Schweiz. Es weist grosse Moorflächen mit störungsempfindlichen Vogelarten auf. Zugleich wird die umliegende Moorlandschaft von Menschen für die ruhige Erholung genutzt. Doch der Regierungsrat bewilligte die Umnutzung einer Wiese für einen Modellflugplatz in dieser Moorlandschaft. Dank des Verbandsbeschwerderechts konnte das Bundesgericht diesen Entscheid überprüfen. Es kam zum Schluss, dass die Bewilligung gegen das geltende Recht verstiess. Damit wurden die Natur, die Tiere im Moor sowie die Landschaft als Erholungsort gesichert.